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Was ist „Duty to Warn“?

Vor dem jüngsten Terroranschlag in Russland hatten die USA den Kreml vor einer solchen Bedrohung gewarnt. Gleiches geschah zuvor im Iran. Dafür sorgt eine kaum bekannte Dienstvorschrift der amerikanischen Geheimdienste – die „Duty to Warn“.

Von Florian Flade

Nein, eine engere Sicherheitspartnerschaft zwischen den USA und Russland werde es sicherlich nicht geben, sagte John Kirby, Sprecher für Nationale Sicherheit der US-Regierung bei einer Pressekonferenz am Montag. Aber in der Tat habe man russische Behörden schon vor Wochen vor einem islamistischen Terroranschlag gewarnt. Vor einem Attentat, wie es schließlich am vergangenen Freitag in der Konzerthalle Crocus City Hall nahe Moskau verübt wurde. Mehr als 130 Menschen wurden dabei getötet. 

„Wir hatten die Pflicht, sie aufgrund von Informationen zu warnen, über die wir verfügten, über die sie ganz offensichtlich nicht verfügten. Das haben wir getan“, so Kirby.

Diese Pflicht zu warnen – „Duty to Warn“ – ist nicht bloß eine Floskel, sondern tatsächlich eine formale Verpflichtung der US-Geheimdienste. Woher stammt sie und was bedeutet das in der Praxis?

Im Juli 2015 erließ James Clapper, der damalige Director of National Intelligence, eine entsprechende Weisung an die Nachrichtendienstcommunity – die Intelligence Community Directive 191 „Duty to Warn“. Darin heißt es:

„Ein Mitglied der IC (intelligence community), das glaubwürdige und spezifische Informationen sammelt oder beschafft, die auf eine drohende Gefahr vorsätzlicher Tötung, schwerer Körperverletzung oder Entführung gegen eine Person oder Personengruppe hinweisen, hat die Pflicht, das beabsichtigte Opfer oder die für den Schutz Verantwortlichen zu warnen, soweit angemessen (…) Der Begriff „beabsichtigtes Opfer“ umfasst sowohl US-Personen (…), als auch Nicht-US-Personen.“

– Intelligence Community Directive 191

Es handelt sich demnach um eine Anweisung der Fachaufsicht an die US-Nachrichtendienste, entsprechende nachrichtendienstliche Erkenntnisse mit ausländischen Stellen zu teilen, um Menschenleben zu schützen. Das ungewöhnliche daran: Dies umfasst eben nicht nur US-Staatsbürger, sondern auch Ausländer, die in Gefahr sind.

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Der vergessene Feind

In Russland hat offenbar das Terrornetzwerk Islamischer Staat (IS) zugeschlagen. Mehr als 130 Menschen wurden in einer Konzerthalle in Moskau ermordet. Der Anschlag kam mit Ansage. Das Putin-Regime hat die Terrorgefahr unterschätzt und nutzt das Verbrechen nun für Desinformation und Kriegspropaganda.

Von Florian Flade

Was genau am Freitagabend in der Crocus City Hall in Krasnogorsk bei Moskau geschah, ist noch immer unklar. Nur wenig bestätigte Informationen sind bislang bekannt geworden. Die bisherigen Berichte, Foto- und Videoaufnahmen aber legen nahe, dass ein islamistisches Terrorkommando in die vollbesetzte Konzerthalle eindrang und mit Sturmgewehren und Pistolen auf die Menschen schoss. Dann sollen Feuer ausgebrochen sein, ein Teil des Daches stürzte daraufhin ein. Mehr als 130 Menschen sollen nach aktuellen Stand getötet worden sein.

Die Terroristen konnten wohl zuständig fliehen. Erst Stunden nach dem blutigen Attentat nahmen russische Sicherheitskräfte mehrere Tatverdächtige fest, darunter auch die vier mutmaßlichen Attentäter. Es handelt sich wohl um Tadschiken handeln, Handyvideos zeigen die festgenommenen, zum Teil misshandelten Terrorverdächtigen. Mittlerweile wurden sie in Moskau einem Gericht vorgeführt.

Russische Propagandamedien und nicht zuletzt auch Präsident Wladimir Putin behaupteten noch am Wochenende, das Terrorkommando verfüge über Verbindungen in die Ukraine, die Attentäter etwa seien nach der Tat auf der Flucht in Richtung Ukraine gewesen – was in Kyjiw und in Washington umgehend dementiert wurde.

Noch am Freitagabend bekannte sich die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) über einschlägige Social-Media-Kanäle zum Anschlag in der Konzerthalle westlich von Moskau. Zunächst in einem kurzen Bekennerschreiben ohne weitere Details zu nennen. Dann folgte ein ausführlicheres Bekenntnis, diesmal mit einem Foto der mutmaßlichen Attentäter.

Inzwischen hat die IS-Propagandastelle Amaq Media auch ein kurzes Video veröffentlicht, offenbar von den Terroristen während der Tat selbst aufgenommen. Zu sehen ist darin unter anderem, wie einer der Attentäter in einem Gang der Konzerthalle auf fliehende Menschen schießt, einem am Boden liegenden offenbar angeschossenen Mann wird die Kehle durchgeschnitten.

In Russland wird um die Toten des Attentats getrauert, aus aller Welt gibt es Beileidsbekundungen. Währenddessen läuft die russische Desinformationsmaschine auf Hochtouren. In Staatsmedien und über unzählige Social-Media-Accounts werden teils völlig abstruse Erzählungen verbreitet, wonach die Terroristen beispielsweise in der Ukraine von der NATO ausgebildet worden seien. Die CIA habe das Attentat geplant, heißt es immer wieder, hinter dem IS-Terror steckten die USA oder Großbritannien.

Es überrascht wenig, dass die Kreml-Propaganda nun versucht, den Mord an 130 Menschen als einen vom Westen gesteuerten Anschlag darzustellen. Das Putin-Regime nutzt und missbraucht das Verbrechen, um seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine weiter zu rechtfertigen.

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Die Infos der anderen

Es sind oft die Hinweise ausländischer Geheimdienste, mit denen Terroranschläge in Deutschland verhindert werden können. Sind die deutschen Sicherheitsbehörden wirklich derart abhängig von den Informationen der Partnerdiensten – und woran liegt das?

Von Florian Flade

Sie gingen in den Wald. Offenbar nicht um Pilze zu sammeln, wie sie behaupten haben sollen, sondern um Waffen für einen Terroranschlag auf jüdische Ziele aus einem Versteck zu holen. Aus einem Erddepot, das irgendwann Anfang des Jahres in Polen angelegt worden sein soll. Doch die Araber fanden die Waffen nicht, obwohl sie seit dem Sommer mehrfach auf die Suche gegangen waren.

In dieser Woche nun wurden die vier Männer festgenommen, drei in Berlin, ein weiterer Beschuldigter in Rotterdam. Sie sollen Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation Hamas sein, davon ist der Generalbundesanwalt überzeugt. Mindestens einer der Verdächtigen soll über enge Kontakte zu einem führenden Kader des militanten Flügels der Hamas, der Al-Qassam-Brigaden, im Libanon verfügen und Befehle von dort entgegen genommen haben.

Der entscheidende Hinweis auf die mutmaßliche Hamas-Zelle erreichte die deutschen Behörden bereits vor einigen Monaten – noch vor dem Massaker der Terroristen in Israel am 07. Oktober – und kam vom israelischen Geheimdienst Mossad.

Wieder einmal, könnte man sagen. Denn oft es sind ausländische Geheimdienste, die entscheidenden Informationen liefern mit denen hierzulande Terroranschläge verhindert werden können. Alleine in diesem Jahr war dies bereits mehrfach der Fall.

Im Januar nahmen Spezialkräfte der Polizei in Castrop-Rauxel zwei iranische Brüder fest. Einer der beiden Männer soll einen islamistischen Anschlag mit den Giftstoffen Cyanid und Rizin geplant haben, mittlerweile steht er deshalb vor Gericht. Der Hinweis auf die Terrorpläne kam von der US-Bundespolizei FBI, die auf verdächtige Chatkommunikation gestoßen war. 

Im Oktober wurde der Syrien-Rückkehrer Tarik S. in Duisburg festgenommen, er soll ein Attentat mit einem Fahrzeug auf eine pro-israelische Demonstration geplant haben. Diesmal war es der marokkanische Geheimdienst, der deutsche Behörden vor dem Islamisten warnte. 

Ein paar Wochen später dann nahmen die Fahnder in Niedersachsen einen 20 Jahre alten Iraker fest, der sich in Chats mit einem hochrangigen Mitglied der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) dazu bereiterklärt haben soll, in der Weihnachtszeit einen Anschlag in Hannover zu verüben. Inzwischen wurde der Gefährder in den Irak abgeschoben. Auch hier kam der Hinweis zuvor aus dem Ausland.

Ende November dann wurden in Nordrhein-Westfalen und Brandenburg zwei 15 und 16 Jahre alte Islamisten verhaftet, die sich in einer Chatgruppe zu einem Attentat mit einem Kleinlaster und Brandsätzen auf einen Weihnachtsmarkt in Leverkusen verabredet haben sollen. Zuvor diskutierten sie über Anschläge auf einen Stripclub oder eine Synagoge in Köln. Die Chatkommunikation hatte der österreichische Inlandsnachrichtendienst DSN mitbekommen und den deutschen Verfassungsschützern übermittelt.

Die Liste der mit Hilfe ausländischer Dienste vereitelten Anschläge in Deutschland wird noch länger, je weiter man zurück blickt. Auch wenn die Sicherheitsbehörden darüber nur ungern öffentlich sprechen, ist es dennoch Fakt: Ohne die Informationen von NSA, CIA, GCHQ, Mossad oder DSGE hätte es hierzulande vermutlich weitaus mehr terroristische Anschläge mit vielen Toten und Verletzten gegeben. Laut BKA wurden seit 2010 in der Bundesrepublik 18 islamistische Terrorakte verhindert, darunter sieben aufgrund von Hinweisen ausländischer Behörden.

Diese Realität wird teilweise als blanke Abhängigkeit der deutschen Terrorabwehr von ausländischen Behörden gewertet. Ohne die Infos der anderen gehe es offensichtlich nicht, so heißt es in Kommentaren immer wieder. Deutsche Dienste seien nicht in der Lage die entscheidenden Informationen selbst zu beschaffen, es herrsche eine Abhängigkeit, die beängstigend sei. Eben weil deutsche Behörden nicht über solch entscheidenden Befugnisse und Fähigkeiten verfügen wie die ausländischen Kollegen.

Aber stimmt das? Und falls die relevanten Hinweise tatsächlich überwiegend von ausländischen Diensten stammen, wieso ist das so? Sind die anderen Behörden schlichtweg besser – oder dürfen sie vielleicht einfach mehr?

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