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Operation „Skirp“

In Großbritannien stehen mehrere Bulgaren vor Gericht. Sie sollen in Europa für Russland spioniert haben. Hat der gesuchte Wirecard-Manager Jan Marsalek die Agentenzelle gesteuert?

Von Florian Flade

Es gebe „sehr gute Nachrichten“, schrieb der Mann, der sich im Chat „.CN“ nannte, am 06. Juni 2022, um 18:53 Uhr Londoner Zeit. Das „Seal Team“ sei erfolgreich in „das Grozev Apartment eingedrungen“. Man habe einen Tresor geöffnet und darin einen IBM Laptop gefunden. Und weiter: „Das Team hat Wien vor zwei Stunden verlassen.“ Der Chatpartner „Rupert Ticz“ reagierte freudig auf die Nachricht.

Es ist die Beschreibung eines Einbruchs in Wien. In die Wohnung des Investigativjournalisten Christo Grozev, der damals mit seiner Frau in der österreichischen Hauptstadt lebte. Grozev, der früher bei Bellingcat und heute für The Insider und Der Spiegel arbeitet, ist bekannt für seine Enthüllungen zu den Machenschaften russischer Geheimdienste, und steht deshalb im Visier des Kreml. Er gilt als gefährdet und lebt inzwischen nicht mehr in Europa.

Die beiden Männer, die sich vor zwei Jahren freudig über den Wohnungseinbruch bei Grozev austauschten, waren nicht die Einbrecher. Aber sie haben Aktion offenbar organisiert. Der eine, „.CN“, hielt sich zu diesem Zeitpunkt wohl in Großbritannien auf. Es soll sich dabei um den Bulgaren Orlin Roussev handeln. Sein Chatpartner befand sich damals wohl in Moskau: Hinter dem Nutzernamen „Rupert Ticz“ soll Jan Marsalek stecken, der flüchtige Wirecard-Manager, verwickelt in einen Finanzskandal mit einer Milliardendimension.

Der 46-jährige Bulgare Orlin Roussev steht mittlerweile in London vor Gericht. Er soll der Kopf einer Agentenzelle sein, die für Russland spioniert haben soll. Neben Roussev gehören dazu weitere bulgarische Staatsangehörige – Biser Dzhambazov, Katrin Ivanova, Ivan Stoyanov und Vanya Gaberova – die ebenfalls im September 2023 angeklagt wurden. Mittlerweile wurde auch eine sechste Person festgenommen, die zu diesem Netzwerk gehören soll.

Die britischen Ermittler sind überzeugt davon, dass diese Zelle für Moskaus spioniert hat. Sie soll Zielpersonen und Örtlichkeiten ausgespäht haben, darunter russische Dissidenten, Regime-Kritiker und Journalisten. Und zwar nicht nur in Großbritannien, sondern auch anderenorts in Europa. Ihre Aufträge sollen Roussev und die anderen von Jan Marsalek bekommen haben. Der mit Haftbefehl gesuchte Österreicher soll die Agenten über Handychat aus Russland gesteuert haben.

Aufgedeckt wurde die bulgarische Zelle um Roussev durch den britischen Inlandsnachrichtendienst MI5 und die Counter-Terrorism-Abteilung der Metropolitan Police. Das Ermittlungsverfahren in Großbritannien heißt „Operation Skirp“ – und hat mittlerweile erstaunliche Erkenntnisse über ein multinationales Netzwerk zutage gefördert, das offensichtlich für Informations- und Technologiebeschaffung und für die Ausspähung von Menschen genutzt wurde. Unter anderem zehntausende Chatnachrichten, die Marsalek zugeschrieben werden.

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Wie sich Russlands Spionage verändert

Bald werden vier russische Generalkonsulate in Deutschland geschlossen. Moskau wird dann erst einmal weniger Spione hierzulande haben. Doch Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass die russischen Geheimdienste ihre Methoden anpassen werden.

Von Florian Flade

Botschaft der Russischen Föderation in Berlin (Google Maps)

Bald heißt es: Koffer packen. Noch vor dem Jahreswechsel werden mehrere russische Diplomaten und deren Familienangehörige die Heimreise antreten müssen – oder zumindest umziehen müssen. Im Gepäck werden sie vermutlich zahlreiche Dokumente und Datenträger haben. Vieles aber wird wohl noch vor der Abreise vernichtet, oder wird nach Berlin in das imposante Botschaftsgebäude der Russischen Föderation unter den Linden gebracht.

Bis zum Jahresende müssen vier der fünf russischen Generalkonsulate in der Bundesrepublik geschlossen werden. So hat es das Auswärtige Amt vor wenigen Monaten verkündet. Nur die Botschaft in Berlin sowie ein Konsulat darf Moskau hierzulande künftig weiter betreiben. Man geht davon aus, dass die Wahl der Russen auf die diplomatische Vertretung in Bonn fallen wird. Die Räumung der übrigen Konsulate in München, Frankfurt am Main, Leipzig und Hamburg wird zudem mit einer zahlenmäßigen Begrenzung des diplomatischen Personals Russlands in Deutschland einhergehen. 

Zahlreiche Vertreter des russischen Staates werden daher ab- beziehungsweise umziehen. Die Maßnahme ist eine Reaktion der Bundesregierung auf die Anordnung Moskaus vom Mai, eine Obergrenze von 350 Personen für die Zahl der deutschen Staatsbedienstete und deren Mitarbeitern in Russland einzuführen. Und zwar nicht nur für Diplomaten, sondern auch für Beschäftigte an deutschen Schulen und Goethe-Instituten. Das Auswärtige Amt sprach von einem „Schritt der Eskalation“.

Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine im Februar 2022 haben zahlreiche europäische Staaten in einem teils abgestimmten Vorgehen rund 400 russische Diplomaten ausgewiesen, bei denen es sich größtenteils um getarnte Geheimdienst-Mitarbeiter gehandelt haben soll. Ein empfindlicher Aderlass für Moskaus Dienste, der durch die erzwungene Reduzierung des diplomatischen Personals und die Schließung mehrerer konsularischer Standorte in Deutschland noch weiter verschärft wird.

Die Möglichkeiten zur Spionage sind für die russischen Geheimdienste künftig aufgrund der verringerten Zahl von Spionen, die aufgrund des Diplomatenstatus vor Strafverfolgung geschützt sind, deutlich eingeschränkt. Deutsche Sicherheitsbehörden aber gehen davon aus, dass die russischen Dienste darauf reagieren werden und ihre Strategien entsprechend anpassen. Dabei werde es vermutlich nicht nur zu vermehrten Cyberangriffe kommen, sondern auch altbewährte Methoden aus den Zeiten des Kalten Krieges würden wohl wiederbelebt, so die Prognose des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV). Erste Anzeichen dafür gibt es bereits.

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Als der BND die Gegenspionage einstellte

Das Anwerben von fremden Spionen als Quellen gilt als Kerngeschäft von Geheimdiensten. Der BND hatte dies jahrelang nicht mehr betrieben – auf Wunsch der Bundesregierung. Neue Prioritäten nach dem 11. September und die deutsche Entspannungspolitik gegenüber Russland sollen dafür ausschlaggebend gewesen sein. Was aber waren die Folgen?

Von Florian Flade

Am 28. Mai 2014 setzte sich ein Mann in München vor seinen Computer und schrieb eine E-Mail an das Russische Generalkonsulat in der bayerischen Landeshauptstadt. Es ging darin nicht um einen Termin für einen neuen Pass, ein Visum für eine geplante Reise oder ähnliches. Vielmehr schlug der Absender den Russen ein Geschäft vor: Er könne geheime Informationen aus dem Bundesnachrichtendienst (BND) liefern. Und zwar gegen Geld.

Die E-Mail verschickt hatte ein gelernter Bürokaufmann, Anfang 30, der tatsächlich Mitarbeiter beim BND in Pullach war. Der Mann hatte Zugang zu allerlei Unterlagen aus dem Geheimdienst, und er war offenbar sehr frustriert in seinem Job. Schon Jahre zuvor hatte er daher begonnen als Informant für den US-Geheimdienst CIA zu arbeiten.

Mehr als 200 interne Dokumente soll der BND-Mann, der sich „Uwe“ nannte, aus dem Büro geschmuggelt und an die Amerikaner verkauft haben, mindestens 95.000 Euro soll er von der CIA bekommen haben. Dafür wurde der geständige Verräter später vom Münchner Oberlandesgericht unter anderem wegen Landesverrat zu acht Jahren Gefängnis verurteilt.

Aufgeflogen war der BND-Mitarbeiter weil ihm die Spitzeleien für die USA offenbar nicht genug waren. „Da wollte ich was Neues erleben“, sagte der Verräter vor Gericht. Als er sich den Russen anbot, war er reichlich unvorsichtig. Er ahnte wohl nicht, dass die elektronische Kommunikation des Konsulats vom Verfassungsschutz überwacht wurde und dort auch seine E-Mail mitgelesen wurde.

Um die Russen davon zu überzeugen, dass sie es mit einem echten Maulwurf zu tun hatten, schickte der BND-Mann gleich drei Dokumente aus seiner Behörde mit – darunter ein Konzeptpapier des BND für den Aufbau einer Einheit zur Gegenspionage.

Gegenspionage meint etwas anderes als Spionageabwehr. Für letztere ist in Deutschland der Verfassungsschutz zuständig, und bei der Bundeswehr der Militärische Abschirmdienst. Dabei geht es darum, die Aktivitäten ausländischer Geheimdienste hierzulande aufzuklären und zu unterbinden, sowie deren angeworbene Quellen in Politik, Wirtschaft, Forschung oder dem Militär ausfindig zu machen. Spionageabwehr ist sozusagen Agentenjagd.

Bei der Gegenspionage aber liegt der Fokus anders. Es geht darum, die fremden Geheimdienste aufzuklären, Einblicke in deren Innenleben zu bekommen, sie auszuforschen, Planungen und Machenschaften aufzudecken – und vor allem darum, gezielt fremde Spione als Quellen anzuwerben, also Informanten in dem ausländischen Dienst zu platzieren. Gegenspionage meint demnach die Rekrutierung von fremden Geheimdienstlern.

Dass der BND-Verräter im Jahr 2014 ein geheimes Konzept für den Aufbau einer Gegenspionage-Einheit verraten hatte, macht deutlich: Zu diesem Zeitpunkt gab es im BND keinen Bereich, der ausschließlich für die Gegenspionage zuständig war. Anfang der 2000er Jahre wurde dieser Fachbereich im BND abgeschafft. Der deutsche Auslandsdienst betrieb fortan keine systematische und gezielte Aufklärung der russischen Dienste mehr.

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