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Das Gleichgewicht des Schreckens

Durch Russlands Angriff auf die Ukraine ist das Schreckgespenst eines Atomkrieges plötzlich wieder in aller Munde. Dass Russland heute über ein nukleares Arsenal verfügt, hat der Kreml auch einem Deutschen zu verdanken. Die Geschichte eines Verrats, der die Welt verändert hat.

Von Florian Flade 

Der Friedhof im Ost-Berliner Stadtteil Friedrichsfelde ist kaum besucht an diesem sonnigen Tag im Mai. In den Bäumen zwitschern Vögel, eine Frau geht mit einem Hund an der Leine spazieren, eine andere sitzt auf einer Parkbank und telefoniert. Sie spricht Russisch. Im südlichen Teil der großen Friedhofsanlage liegt die Gedenkstätte der Sozialisten, eingeweiht 1951 in der DDR als Ruheort für Personen, die sich für für den deutschen Sozialismus engagiert haben. Rosa Luxemburg liegt hier begraben, ebenso Karl Liebknecht.

Am Pergolenweg, direkt hinter dem Denkmal, sind die Gräber in mehreren Reihen angeordnet. Hier wurde einige der prominentesten Geheimdienstler der ehemaligen DDR bestattet. Markus Wolf beispielsweise, der legendäre Chef der DDR-Auslandsspionage. Nur wenige Meter daneben befindet sich das Grab eines Mannes, der zum Verräter wurde und damit die Geschichte auf entscheidende Weise beeinflusst hat. Ein Ausschuss in den USA hat seine Taten untersucht und kam zu dem Fazit, dass er „den größten Verrat in der Geschichte der Menschheit“ begangen habe.

Klaus Fuchs war kein Geheimdienstmann, kein Spion, sondern ein Wissenschaftler. Ein Atomphysiker, der beim Bau der ersten Nuklearwaffen in den USA beteiligt war. Und der schließlich die Baupläne an die Sowjetunion verriet.

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Die Enttarnung des „Bundesservice Telekommunikation“

Eine bislang unbekannte Außenstelle des Verfassungsschutzes in Berlin wurde durch Internetrecherchen enttarnt. Was hat es mit den abgetarnten Liegenschaften auf sich, wozu brauchen die Dienste solche Einrichtungen?

Von Florian Flade

Zufällig verirrt man sich wohl kaum in die Heidelberger Straße Nr. 63-64 in Berlin-Treptow – oder vielleicht doch? Ziemlich abgelegen liegt die Straße im zentralen Südosten der Hauptstadt. Nicht weit entfernt verlaufen die S-Bahn-Gleise des Berliner Rings, dahinter liegt der Treptower Park. Das mehrstöckige Bürogebäude könnte unauffälliger kaum sein. Rundherum gibt es KfZ-Werkstätten, Supermärkte, eine Brauerei ist nicht weit, ebenso eine Kleingarten-Siedlung.

In dem besagten Gebäude residieren mehrere Firmen und Organisationen – und eine Behörde, die wohl gar keine ist. Und deshalb die Bundesregierung jüngst in einige Erklärungsnot gebracht hat. Das wiederum hat mit Lilith Wittmann zu tun, einer 26-jährigen Informatikerin, IT-Sicherheitsexpertin und selbsternannten „Krawall-Influencerin“. Bekannt wurde sie durch die Entdeckung von Sicherheitslücken in der Wahlkampf-App der CDU und der Corona-App Luca.

Mitte Januar veröffentliche Wittmann auf ihrer Webseite einen ersten Beitrag, in dem sie beschrieb, wie sie sich auf die Spur einer mysteriösen Behörde gemacht hat. Sie habe sich eine Liste aller Bundesbehörden angesehen und sei dabei über eine Einrichtung namens „Bundesservice Telekommunikation“ gestolpert, von der sie noch nie zuvor gehört habe. Überhaupt ergaben Internetrecherchen keine wirklichen Anhaltspunkte dafür, was es mit dieser Einrichtung auf sich haben könnte.

Wittmann begab sich auf die Suche, nutzte offen verfügbare Informationen, verfolgte E-Mail-Adressen, Telefonnummern und IP-Adressen, tätigte nächtliche Anrufe bei sichtlich verdutzten Personen und verschickte sogar einen AirTag per Post, einen Peilsender von Apple, dessen Weg sie verfolgte. Die Vermutung der IT-Fachfrau war schon früh, dass es sich beim „Bundesservice Telekommunikation“ um eine getarnte Dienststelle eines deutschen Geheimdienstes handeln könnte. Immer mehr Indizien dafür hat sie zusammengetragen und inzwischen in einem zweiten Beitrag veröffentlicht.

Die Bundesregierung wurde in der Bundespressekonferenz ebenfalls zu der ominösen Behörde, die angeblich in dem unscheinbaren Bürokomplex in Berlin-Treptow ansässig ist, befragt. Etwa warum der „Bundesservice für Telekommunikation“ offenbar kein Budget zugeteilt worden ist.

„Im Geschäftsbereich des BMI gibt es keine Behörde mit dem Namen Bundesservice Telekommunikation und deswegen kann ich auch die Frage nach einem Budget oder nach der Leitung nicht beantworten“

– Dr. Marek Wede, Sprecher des Bundesinnenministeriums, am 17. Januar 2022

Die Antwort des Ministeriumssprechers verwundert. Allerdings ist sie offenbar nur auf den ersten Blick falsch. Denn tatsächlich handelt es sich beim „Bundesservice Telekommunikation“ um keine echte Behörde, sondern eben um eine getarnte Aussenstelle eines Geheimdienstes. In diesem Fall des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), das wiederum dem Bundesinnenministerium nachgeordnet ist.

Vor allem in sozialen Medien wurden die Recherchen von Lilith Wittmann vielfach aufgegriffen und verbreitet. Teilweise hämisch wurde kommentiert, wie erschreckend einfach es sei, eine geheime Einrichtung des Verfassungsschutzes zu enttarnen. Und tatsächlich verwundert es durchaus, dass die „Bundesservice Telekommunikation“ nicht besser abgeschirmt wurde – oder warum die Außenstelle des Verfassungsschutzes überhaupt unter einem solchen Fantasienamen firmiert.

Wirklich überraschend ist es indes nicht, dass ein Nachrichtendienst solche inoffiziellen Liegenschaften unterhält. So ziemlich jeder deutsche Geheimdienst – sowohl die Verfassungsschutzbehörden auf Landesebene, als auch die Bundesbehörden wie das BfV oder der BND – verfügt über derartige Einrichtungen. Sie gehören zum nachrichtendienstlichen Geschäft genauso wie die Deck- oder Arbeitsnamen, unter denen viele der Mitarbeitenden agieren.

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Das GTAZ

Nach dem 11. September 2001 wurde in Berlin das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) geschaffen. Die Sicherheitsbehörden aus Bund und Länder tauschen sich hier im Anti-Terror-Kampf aus. Wie effektiv ist diese Plattform – und wie hat sie sich seit der Gründung verändert? 

Von Florian Flade

Quelle: BMI

Es ist Freitag, der 19. Februar 2016, 09 Uhr, als in einem Klinkerbau des Bundeskriminalamtes (BKA) in Berlin-Treptow, im Raum A242, sechzehn Männer und Frauen an zwei langen Tischen zusammen kommen. Sie arbeiten im BKA, im Bundesamt für Verfassungsschutz, dem BND, der Bundespolizei, dem Berliner Landeskriminalamt und dem Berliner Verfassungsschutz. Auch ein Vertreter des Generalbundesanwalts ist dabei. Drei weitere LKA-Beamte und ein Verfassungsschützer aus Nordrhein-Westfalen werden über verschlüsselte Videoleitung dazu geschaltet.

Es ist die 1282. Sitzung im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ), die Arbeitsgruppe (AG) „Operativer Informationsaustausch“ tagt. Und es geht um einen tunesischen Islamisten namens Anis Amri. 

Einige Wochen zuvor hatte das nordrhein-westfälische LKA über einen V-Mann in der islamistischen Szene erstmals von einem „Anis“ gehört, einem Extremisten, der offenbar bereit ist, Anschläge in Deutschland zu begehen. Mittlerweile wissen die Ermittler über den Mann einiges mehr. Sie kennen seine zahlreichen Kontakte zu anderen Islamisten bundesweit, sie wissen, dass er mehrere Alias-Personalien verwendet und mittlerweile seinen Lebensmittelpunkt von Nordrhein-Westfalen nach Berlin verlagert hat. 

Durch ihren Informanten in der Szene haben sie zudem erfahren, dass Amri damit prahlt, sich Sturmgewehre in Frankreich besorgen zu wollen. Und die Ermittler haben es geschafft mit einem technischen Trick seine Telegram-Chats mitzulesen. Daher wissen sie, dass Anis Amri offenbar mit IS-Terroristen in Libyen in Kontakt steht, dass er in den Dschihad ziehen will, dass sie ihm geraten haben, in Deutschland zuzuschlagen. Die Staatsschützer haben auch mitbekommen, wie Amri im Internet nach Bombenbauanleitungen sucht.

„Die Teilnehmer halten an der bisherigen Bewertung des Sachverhaltes fest“, heißt es später in dem Protokoll der GTAZ-Sitzung. Die bisherige Bewertung lautete: „Der Sachverhalt ist ernst zu nehmen“. Die Zuständigkeit zur Gefahrenabwehr, darauf soll sich die Runde geeinigt haben, liege fortan beim LKA Berlin. In „bilateraler Rücksprache“ sollen die Berliner mit dem LKA NRW zudem „die weitere Vorgehensweise und die angesprochenen Maßnahmen“, koordinieren. Der BND solle nachschauen, ob zu den beiden libyschen Rufnummern, mit denen Amri gechattet hat, „Erkenntnisse vorliegen“ und weitere Maßnahmen prüfen.

Um 10:02 Uhr ist die Sitzung an jenem Tag beendet. Es werden noch weitere folgen. Insgesamt 13 Mal wurde über Anis Amri, den späteren Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz, in unterschiedlichen Formaten im GTAZ gesprochen. Die Protokolle der Sitzungen sind sehr knapp gehalten, nur stichwortartig wird zusammengefasst, was die Behördenvertreter wohl vereinbart haben. Vieles davon liest sich durchaus strukturiert und routiniert. Erkenntnisse werden zusammengetragen, Aufgaben werden verteilt, weitere Sitzungen vereinbar – die deutsche Terrorabwehr erscheint damals, zumindest auf dem Papier, wie eine gut geölte Maschine.

Die Realität aber sah stellenweise dann doch anders aus. Ganz so gut durchgetaktet war die Bearbeitung des Gefährders Anis Amri doch nicht. Die Abstimmung zwischen den einzelnen Behörden und deren Handeln lief keineswegs so reibungslos, wie es die Protokolle aus dem Terrorismusabwehrzentrum vermuten lassen. Und auch bei der Gefährdungseinschätzung des Islamisten gingen die Meinungen auseinander. 

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