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Thomas bei den Taliban

Ein deutscher Islamist schließt sich den Taliban an und lebt jahrelang mit den Extremisten in Pakistan und Afghanistan. In seinen Vernehmungen und vor Gericht liefert er seltene Einblicke in das Leben mit den radikalislamischen Fundamentalisten.

Von Florian Flade

Sie konnten es offenbar selbst kaum fassen. Der Mann mit dem schwarzen Turban und dem rötlichen Bart, der sprach Deutsch! Ein Deutscher in einer Lehmhütte, im Süden Afghanistans. Afghanische und amerikanische Soldaten hatten das Gebäude gestürmt, sie waren auf der Suche nach Taliban-Kämpfern. Dass sie auf einen deutschen Islamisten stoßen würden, damit hatten sie wohl kaum gerechnet. Es gibt ein Handyvideo, aufgenommen kurz nach der Festnahme im Februar 2018. „Holy shit, du sprichst Deutsch?“, fragt einer der Soldaten. „Ich kann Deutsch sprechen“, antwortet der sichtlich verängstigte Mann, „ich bin ein Mudschahir“. Das bedeutet: Einer, der ausgewandert ist. 

Thomas K. war sechs Jahre zuvor aus Deutschland an den Hindukusch gereist. Um den „islamischen Militärdienst“ zu verrichten, wie er es selbst später beschrieb. Er schloss sich zunächst in Pakistan, später dann in Afghanistan den örtlichen Terrorgruppen an, arbeitete an einem Propagandafilm über die Taliban und war zwischenzeitlich sogar als Selbstmordattentäter ausgewählt worden. Am Ende aber soll er nur nur so etwas wie ein Hausmeister bei den Taliban gewesen sein.

Mehr als 1000 Islamisten zog es aus der Bundesrepublik in die Kriegsgebiete von Afghanistan, Pakistan, Somalia, nach Syrien und in den Irak. Die meisten landeten bei Gruppierungen wie dem Islamischen Staat (IS), bei Al-Qaida, syrischen Milizen oder bei kleineren Terrorzellen in den Stammesgebieten im pakistanischen Waziristan. Kaum einer jedoch schloss sich den Taliban an, in deren Reihen waren und sind europäische Dschihadisten eine seltene Ausnahme. 

Umso ungewöhnlicher ist der Fall von Thomas K., der mehrere Jahre bei den afghanischen Islamisten verbrachte, und den Ermittlern des Bundeskriminalamtes (BKA) über seine Zeit in den Reihen der Extremisten ausführlich und bereitwillig Auskunft gab. Seine Erzählungen liefern seltene Einblicke in jene radikalislamische Bewegung, die zwanzig Jahre nach dem 11. September 2001 wieder große Teile Afghanistans beherrscht, und nach dem Abzug der Nato-Truppen möglicherweise sogar die Macht im Land an sich reißen könnte.

„Ich habe gedacht, in Afghanistan die Wurzeln des Islam zu finden“, sagte Thomas K., der sich nach seiner Rückkehr vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf wegen Mitgliedschaft und Unterstützung der Taliban verantworten musste. Der Islam in Afghanistan sei nunmal „noch purer und konservativer“

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Von Waziristan nach Syrien

von Florian Flade

Mounir C Abu Adam FBPBonner Islamist Mounir Chouka – Auf dem Weg nach Syrien?

Syrien ist derzeit ein äußerst beliebtes Reiseziel. Nicht für erholungsuchende Pauschaltouristen. Sondern für kampfeswillige junge Männer. Tausende radikale Islamisten aus ganz Europa haben sich inzwischen der Terrormiliz Islamischer Staat angeschlossen. Sie ziehen mordend durch Syrien und den benachbarten Irak, töten Sicherheitskräfte, Soldaten, Journalisten und Andersgläubige, vergewaltigen und versklaven Frauen und Mädchen.

Wer das Terrorhandwerk erlernen möchte, der reist in Gebiete, die der IS kontrolliert. Mehr als 450 Islamisten aus Deutschland sollen diesen Weg bislang gegangen sein. Per Billigflug in die Türkei, mit dem Bus oder Mietwagen. Syrien ist der absolute Hotspot für angehende Gotteskrieger.

Noch vor Jahren zog es die religiösen Fanatiker aus Hamburg, Berlin, Frankfurt oder Bonn an den weit entfernten Hindukusch. Bis zu 100 Islamisten reisten teilweise mit Frau und Kind in das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet Waziristan. Regelrechte „Dschihad-Kolonien“ entstanden rund um die Terrorcamps von al-Qaida und anderen Gruppierungen in den Bergdörfern im Nordwesten Pakistans.

Jetzt aber hat sich der Fokus verlagert. Waziristan ist out, Syrien liegt im Trend. Al-Qaida hat massiv an Attraktivität eingebüßt. Der Islamische Staat, mit seiner äußersten Brutalität und seiner ausgereiften Propagandakampagne, gewinnt immer mehr Anhänger. Die Weltöffentlichkeit blickt täglich nach Syrien und in den Irak. Afghanistan und Pakistan scheinen nahezu vergessen. Aus sicherheitspolitischer Sicht wohl ein Fehler. Denn noch immer halten sich dort Dutzende Terroristen aus Europa auf, darunter rund zwanzig Personen aus Deutschland.

Wie ergeht es den deutschen Islamisten im fernen Waziristan? „Der Bürgerkrieg in Syrien und die Terrorgruppe Islamischer Staat üben aktuell die größte Anziehungskraft für kampfeswillige Islamisten aus“, sagte mir ein Vertreter der Sicherheitsbehörden. „Auch die noch in Pakistan ansässigen Dschihadisten aus Deutschland wollen sich offenbar in Syrien betätigen.“

Die Extremisten in Pakistan warben noch vor Jahren mit der Utopie eines paradiesischen Lebens nach Koran und Scharia. Es gebe „Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser“, hieß es in den Propagandavideos aus den Bergen Waziristans. Es klang nach Lagerfeuer-Idylle und Dschihad-Romantik. Die Realität aber war eine andere. Den Islamisten mangelte es an fast allem. In Geldnot kontaktierten sie Angehörige und Glaubensbrüder in der Heimat und bettelten um Spenden.

Nun scheinen sich die „Dschihad-Kolonien“ vollends aufzulösen. Nach meinen Informationen gehen Sicherheitsbehörden davon aus, dass sich viele deutsche Dschihad-Kämpfer mittlerweile von Waziristan nach Syrien und in den Irak abgesetzt haben. Darunter auch die Deutschmarokkaner Yassin und Mounir Chouka, deren Ehefrauen Nele Ch. und Luisa S., die Hamburgerin Seynabou S. sowie mehrere Kinder, die teilweise in den Terrorcamps geboren wurden.

Die Brüder Chouka aus dem Bonner Stadtteil Kessenich waren vor sechs Jahren nach Waziristan gereist. In Deutschland hatten sie eine katholische Grundschule und später das Gymnasium besucht. Sie spielten in Fußballvereinen, waren beliebte Schüler und galten als gut integriert. Nach einer Pilgerreise radikalisierte sich das Bruderpaar offenbar schrittweise. In Pakistan schließlich schlossen sie sich der Terrorgruppe Islamische Bewegung Usbekistans (IBU) an, die auch für Anschläge gegen die Bundeswehr in Afghanistan verantwortlich gemacht wird.

Als „Abu Ibrahim“ und „Abu Adam“ tauchten Yassin und Mounir Chouka in den Folgejahren in zahlreichen Propagandavideos der IBU auf. Sie verherrlichten getötete Mitstreiter als „Märtyrer“ und riefen Glaubensbrüder in Deutschland zu Terroranschlägen auf. Kampflieder der Bonner Brüder inspirierten wohl auch den Attentäter vom Frankfurter Flughafen Arid U. und eine Gruppe von radikalen Salafisten, die sich derzeit in Düsseldorf für einen geplanten Mordanschlag auf einen Politiker der islamfeindlichen „Pro NRW“-Gruppierung verantworten muss. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe ermittelt seit Jahren gegen die Choukas. Mehr als 20 Aktenordner umfasst das Verfahren inzwischen.

Zuletzt war es ruhig geworden um die Bonner Brüder. Im Januar tauchte das letzte Video mit Bezug zu den Choukas auf. Darin verkündeten sie den Tod eines deutschen Konvertiten bei einem amerikanischen Drohnenangriff. Seitdem herrschte Funkstille. In der islamistischen Szene gab es Gerüchte, Yassin und Mounir Chouka könnten bei einem amerikanischen Drohnenangriff getötet worden sein. Auch ein Streit unter den Dschihadisten oder ein Ausschluss aus der Terrorgruppe hielten deutsche Ermittler für möglich.

Beides scheint nicht der Fall zu sein. Nach Erkenntnissen des Bundeskriminalamtes (BKA) sollen Yassin und Mounir Chouka zwischenzeitlich sogar in die Führungsebene der Terrorgruppe IBU aufgestiegen sein. Außerdem sollen die Brüder in den vergangenen Monaten intensiv versucht haben, mit der Terrorgruppe Islamischer Staat in Kontakt zu kommen. Letztendlich wohl auch erfolgreich.

Inzwischen sollen sich die Choukas samt Ehefrauen und Kinder in Richtung Syrien aufgemacht haben. Ob sie bereits dort angekommen sind und nun vielleicht sogar an Gräueltaten des Islamischen Staates beteiligt sind, ist unklar. Ihre Vorgängerorganisation IBU jedenfalls hatte erst vor wenigen Tagen ihre Loyalität gegenüber den IS-Extremisten verkündet.

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Dieser Text erschien am 04. Oktober 2014 in Die WELT

http://www.welt.de/politik/deutschland/article132910243/Fuer-deutsche-Gotteskrieger-ist-Syrien-Reiseziel-Nr-1.html

Was machen eigentlich die Choukas?

von Florian Flade

Die Bonner Brüder Yassin und Mounir Chouka galten jahrelang als die bekanntesten deutschen Dschihadisten. Aus den Bergen Nordwest-Pakistans veröffentlichten sie beinahe im Monatsrythmus neue Propagandavideos. Inzwischen ist es still geworden um das islamistische Bruderpaar.

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Sie sind so etwas wie Bonnie und Clyde des deutschen Dschihadismus. Die Brüder Yassin und Mounir Chouka, Deutsch-Marokkaner aus Bonn Bad Godesberg. Vor mehr als fünf Jahren kehrten die beiden Deutschland den Rücken und wanderten nach Waziristan aus,  in das Grenzgebiet zwischen Afghanistan und dem Nordwesten Pakistans. Das Bruderpaar schloss sich der „Islamischen Bewegung Usbekistans“ (IBU) an, einer multi-ethnischen Dschihadisten-Truppe, die an der Seite diverser Taliban-Fürsten in Waziristan ihr Unweisen treibt und auch in Teilen Afghanistans, insbesondere in den nördlichen Provinzen Kunduz und Baghlan, aktiv ist

Für die IBU waren die Brüder aus Deutschland zumindest propagandistisch ein echter Glücksgriff. Sowohl Mounir („Abu Adam“) als auch Yassin Chouka („Abu Ibrahim“) traten in den vergangenen Jahren in Dutzenden Videos auf, in denen sie in deutscher Sprache für den bewaffneten Dschihad warben und auch zu Terroranschlägen in Deutschland aufriefen. Zeitweise, so haben deutsche Sicherheitsbehörden aus Verhören mit Dschihadisten erfahren, sollen die Choukas sogar die Propagandaabteilung der IBU, das „Jundullah Studio“, geleitet haben.

Es waren auch die Videos der Choukas, da sind sich deutsche Terrorermittler sicher, die im Jahr 2009 für eine regelrechte Ausreisewelle kampfeswilliger Islamisten aus Deutschland an den Hindukusch sorgte. In mehreren Gruppen, teilweise auch alleine, reisten Extremisten in die Terrorcamps in den Bergen Waziristans und wurden dort von den Choukas empfangen. Nicht immer freundlich, wie Rückkehrer berichten. Oftmals habe man den Neuankömmlinge misstraut. Die Choukas, allen voran Mounir, sollen aus Angst vor Spionen und Verrätern regelrechte Verhöre abgehalten haben. Herablassend und herrisch hätten sich die Brüder aus Bonn aufgeführt. In einigen Fällen sei das der Grund für angereiste Islamisten gewesen, die IBU zu verlassen.

Tauchten in den vergangenen Jahren nahezu jeden Monat neue Lebenszeichen der Chouka-Brüder in Form von Propagandabotschaften im Internet auf, so ist es aktuell sehr ruhig um sie geworden. Lediglich sieben Videos veröffentlichten die Bonner Dschihadisten im auslaufenen Jahr. Nur drei davon erschienen allerdings unter dem offiziellen Logo ders IBU-Propagandazweiges „Jundullah Studio“.

Vier Videos, darunter auch die beiden letzten von Ende November, sind mit den Logos anderer Dschihadisten-Gruppierungen versehen. Ein Umstand, der auch Sicherheitsbehörden beschäftigt. Ich habe bereits im Mai in einem Blog-Eintrag auf diese Merkwürdigkeit hingewiesen.

Damals ging es um zwei Videobotschaften, die mit dem Logos von „Badr Tawheed“, der Medienabteilung der „Islamic Jihad Union“ (IJU), und „Islam Awazi“, dem Propagandaflügel der „Islamic Party of Turkestan“, versehen waren.

Die neueste Veröffentlichung von Yassin Chouka alias „Abu Ibrahim“ trägt nun das Symbol der „Al-Khandaq Media Productions“. Die wiederum gilt als Medienabteilung pakistanischer Terrorgruppen.

Was steckt hinter den ständig wechselnden Logos der Chouka-Videos?

Wie bereits erläutert, kommen mehrere Gründe in Betracht. Entweder die Choukas gehen tatsächlich auf Propagandaebene engere Kooperationen mit anderen Terrorgruppen in der Region ein. Oder aber sie müssen sich für ihre Videobotschaften andere Veröffentlichungskanäle und Plattformen suchen, weil sie innerhalb der IBU nicht mehr in der Lage sind, die Medienabteilung zu führen.

Es ist davon auszugehen, dass sowohl Mounir als auch Yassin Chouka noch am Leben sind. Fraglich ist allerdings, ob sie überhaupt noch in den Reihen der IBU aktiv sind. Denkbar ist, dass das Bruderpaar innerhalb der Organisation aus irgendwelchen Gründen in Ungnade gefallen ist und nun auf eigene Faust Dschihad-Propaganda aus Waziristan heraus betreibt.

Die Führungsebene der IBU hat in den vergangenen Jahren empfindliche Rückschläge hinnehmen müssen. Ein US-Drohnenangriff im August 2009 tötete den langjährigen Emir und Gründungsvater der Gruppe, Tahir Yuldashev. Nachfolger wurde ein junger Usbeke namens Usman Adil, den wiederum im April 2012 das gleiche Schicksal ereilte wie Yuldashev. Aktuell soll Usman Ghazi der Anführer der IBU sein, ein rund 40 Jahre alter Islamist, der lange Jahre in den zentralasiatischen Drogenhandel involviert gewesen sein soll.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich die Chouka-Brüder mit der neuen IBU-Führung zerstritten und anschließend die Gruppe verlassen haben. In Waziristan würde es wohl kaum geduldet werden, wenn die deutschen Dschihadisten weiter unter dem Label der IBU ihre Botschaften im Netz veröffentlichen würden. Sie müssten sich demnach Alternativen suchen.

Ein Verzicht der Propaganda-Aktivitäten der Choukas ist trotz all der offenen Fragen nicht zu erkennen. In einem pakistanischen Dschihad-Forum findet sich seit einigen Tagen der Aufruf den „deutschen Brüdern in Waziristan“ Fragen zu stellen, die diese dann beantworten werden. Bis zum 26.Dezember noch können Fragen fragen eingeschickt werden. Man darf gespannt sein.

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