Schlagwort-Archive: NRW

Bio-Terroralarm in Castrop-Rauxel

Am Wochenende herrschte Terroralarm in Nordrhein-Westfalen. Zwei Iraner wurden in Castrop-Rauxel festgenommen. Es gab Hinweise, dass das Bruderpaar möglicherweise einen islamistischen Anschlag plante – unter Verwendung von biologischen Giftstoffen. Wie kam es zu dem Verdacht?

Von Florian Flade

Samen der Rizinus-Pflanze

Die Fotos in dem sozialen Netzwerk zeigen einen jungen Mann, der offenbar ein neues Leben in Deutschland begonnen hat. Ein Bild zeigt ihn in einer Kfz-Werkstatt, ein Zeitungsausschnitt legt nahe, dass er einen Deutschkurs für Flüchtlinge erfolgreich bestanden hat. Auf einem anderen Foto posiert der Mann vor dem Eiffelturm in Paris, die Sonnenbrille auf die Stirn geschoben, um den Hals trägt er eine Kette mit einem Kreuz.

Der Iraner M.J. kam 2015 als Flüchtling nach Deutschland. In seinem Asylverfahren soll er angeben haben, dass er als Christ in seinem Heimatland verfolgt werde. Die deutschen Behörden gewährten ihm daher einen Aufenthaltserlaubnis. Nun steht der M.J. unter dem Verdacht einen Mordanschlag geplant zu haben.

Am vergangenen Wochenende, in der Nacht vom 07. auf den 08. Januar, wurde der Iraner von Spezialkräften der Polizei in seiner Wohnung im nordrhein-westfälischen Castrop-Rauxel festgenommen. Die Zentralstelle Terrorismusverfolgung Nordrhein- Westfalen der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf ermittelt gegen den 32-jährigen Asylbewerber wegen des Verdachts, dass er möglicherweise einen islamistisch-motivierten Terroranschlag geplant hat. Und zwar unter Verwendung der Giftstoffe Cyanid und Rizin. Auch sein 25 Jahre alter Bruder wurde festgenommen.

Bei der Durchsuchung der Wohnung waren Polizisten in Schutzanzügen zugegeben, ebenso Toxikologie-Fachleute des Robert-Koch-Instituts. Mehrere Stunden dauerte die Maßnahme, allerdings wurde weder Gift noch Sprengstoff gefunden. Auch nicht in zwei Garagen, die am Montagmorgen nachträglich von den Ermittlern durchsucht wurde, weil es Hinweise darauf gab, dass die Brüder sie genutzt hatten, wie der SPIEGEL berichtet.

Rizin ist ein biologisches Gift, das aus den Samen des Wunderbaums gewonnen werden kann. Es ist bereits in kleinen Mengen tödlich und gilt daher als potenzielle, terroristische Bio-Waffe. Terrororganisationen wie „Islamischer Staat“ (IS) rufen ihre Anhängerschaft dazu auf, dieses Gift für Attentate zu verwenden. Im Juni 2018 war in Köln ein solcher Anschlagsplan aufgeflogen. Damals hatte Islamist zahlreiche Rizinus-Samen online bestellt und außerdem an Sprengstoffen gearbeitet. Durch einen Hinweis eines britischen Geheimdienstes konnten deutsche Sicherheitsbehörden den angehenden Terroristen aufspüren.

Mehr zum Kölner Rizin-Terrorfall gibt es hier: The June 2018 Cologne Ricin Plot: A New Threshold in Jihadi Bio Terror

Die jetzigen Ermittlungen gegen die beiden iranischen Brüder hatten in der Weihnachtszeit begonnen. Die US-Bundespolizei FBI hatte dem Bundeskriminalamt (BKA) einen Warnhinweis geschickt: In überwachten Online-Chats hatte wohl jemand aus Deutschland angekündigt, einen Terroranschlag zu begehen. Dabei soll sich die verdächtige Person nach Anleitungen zur Herstellung der Gifte Cyanid und Rizin erkundigt haben. Das Attentat, so der Hinweis aus den USA, sollte wohl im Namen der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) erfolgen.

Mehrfach gab es daraufhin gemeinsame Runden der deutschen Sicherheitsbehörden, um die Person bzw. die Personen zu identifizieren, die sich zumindest im Internet augenscheinlich zu einem Anschlag bereit erklärt haben. Es soll zudem Hinweise darauf gegeben haben, dass ein Attentat möglicherweise für Silvester geplant gewesen war.

Bei den Ermittlungen stieß das BKA schließlich auf den Iraner M.J. aus Castrop-Rauxel, der bislang den Sicherheitsbehörden nicht als Islamist aufgefallen war. Sein Bruder war behördenbekannt, allerdings aufgrund von anderen Delikten: Er war vor einigen Jahren bereits zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden, weil er einen Ast von einer Autobahnbrücke auf ein Fahrzeug geworfen und die Fahrerin verletzt hatte. Damals war er betrunken und wurde daher nach einer bestimmten Haftzeit in einer Entzugsklinik in Nordrhein-Westfalen untergebracht. Dort befindet er sich bis heute, darf jedoch auch bei Verwandten wie seinem Bruder übernachten.

Obwohl bislang keine Sprengstoffe, Chemikalien oder anderen Belege für eine Anschlagsvorbereitung bei M.J. und seinem Bruder gefunden wurden, befinden sich die beiden nun Untersuchungshaft. Die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf hatte Haftbefehle erwirkt, allerdings nicht wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, sondern wegen des Verdachts der gemeinschaftlichen Verabredung zu einem Verbrechen. Die Ermittlungen laufen weiter, der Generalbundesanwalt lässt sich über den Stand fortlaufend informieren, hat das Verfahren jedoch bislang nicht an sich gezogen.

Terrorausbilder aus Deutschland

Bei der Vorbereitung der IS-Anschläge von Paris sollen zwei Islamisten aus Deutschland eine Rolle gespielt haben. Französische Ermittler glauben, dass die Männer das spätere Terrorkommando ausgebildet haben.

Von Florian Flade

Szene aus einem IS-Propagandavideo zu den Terroranschlägen von Paris: Bei dem verpixelten Ausbilder der Attentäter soll es sich um Thomas-Marcel C. (rechts) handeln.

Salah Abdeslam durfte sich in der vergangenen Woche vor Gericht in einem ersten längeren Statement äußern. Zu den Terroranschlägen in Paris vom 13. November 2015 mit 130 Toten, an denen er beteiligt war – und deren einziger überlebender Attentäter der Franzose sein soll.

„Wir haben gegen Frankreich gekämpft, wir haben Frankreich angegriffen, wir haben Zivilisten angegriffen. Aber es war nichts persönliches gegen sie“, sagte Abdeslam am 15. September, seinem 32. Geburtstag, offensichtlich ohne Reue und Mitgefühl für die Hinterbliebenen und Überlebenden der Terrornacht. Die Anschläge in Paris seien vielmehr gerechtfertigte Vergeltung gewesen, wegen Frankreichs Luftangriffen gegen die Terrormiliz IS in Syrien, behauptete der Extremist.

In einem historischen Mammut-Prozess, der noch Monate dauern wird, sind insgesamt zwanzig Personen wegen der Paris-Anschläge angeklagt worden. Neben Abdeslam stehen noch dreizehn weitere mutmaßliche Unterstützer und Helfer der Terrorzelle vor Gericht. Die anderen Dschihadisten wurden in Abwesenheit angeklagt, sie gelten als tot oder sind verschwunden. Einer befindet sich in der Türkei im Gefängnis. 

Zu der IS-Terrorzelle, die am Abend des 13. November 2015 in Paris, und dann am März 2016 in Brüssel zuschlug, gehörten fast ausschließlich Islamisten die in Belgien und Frankreich aufgewachsen waren. Sie waren in Syrien für ihre tödliche Mission ausgewählt und vorbereitet worden. Dann wurden sie als Flüchtlinge getarnt nach Europa geschickt.

Über die mutmaßlichen Hintermänner der Anschläge, die Terrorstrategen und Planer beim IS, gibt es inzwischen mehr Informationen. Die französischen Ermittler sind überzeugt, dass etwa die Brüder Fabien und Jean-Michael Clain aus Toulouse eine wichtige Rolle bei den Vorbereitungen der Attentaten gespielt haben. Ein entscheidender Drahtzieher soll angeblich Oussama Atar gewesen sein, ein aus Brüssel stammender Islamist, der sich angeblich hinter der mysteriösen Figur „Abu Ahmad“ verbergen soll, die das Terrorkommando aus Syrien heraus angeleitet hat – woran es allerdings berichtigte Zweifel gibt.

Auch zwei Dschihadisten aus Deutschland sollen an den Anschlagsvorbereitungen in Syrien beteiligt gewesen sein: Thomas-Marcel C. und Ahmad Abu G.. Sie gehören zwar nicht zu den Angeklagten im Pariser Terrorprozess, die französische Ermittler gehen allerdings davon aus, dass die beiden Männer die Attentäter ausgebildet haben.

Weiterlesen

Der Terroralarm von Essen

von Florian Flade

Die Idee der Clique war banal und funktionierte erstaunlich gut: Versicherungsbetrug durch absichtlich herbeigeführte Autounfälle. Zwischen Mai 2011 und Oktober 2013 soll die Bande in Hannover, Mülheim, Essen, Oberhausen, Duisburg und Dinslaken insgesamt 17 Unfälle verursacht haben. In 13 Fällen zahlte die Versicherung jeweils Summen zwischen 2007,40 Euro und 8496,79 Euro.

Im Visier der Staatsanwaltschaft stehen wegen des systematischen Versicherungsbetrugs 24 Männer und Frauen aus Nordrhein-Westfalen. Sie sollen ingesamt rund 60.000 Euro unrechtmäßig kassiert haben. Das besondere: Neun Beschuldigte gelten als Salafisten. Mindestens zwei von ihnen sollen sich der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien angeschlossen haben – und sind inzwischen wohl tot. Der Verdacht der Ermittler: Ein Teil des ergaunerten Geldes landete womöglich beim IS oder wurde benutzt, um die Reisen von angehenden Dschihadisten zu finanzieren.

Zum Umfeld der islamistischen Versicherungsbetrüger gehört auch der 24-jährige Imran René Q. aus Oberhausen. Der Sohn eines Pakistaners und einer Deutschen war im Frühjahr 2015 über die Türkei nach Syrien gereist. Und schloss sich vor Ort dem IS an. Noch im Juli 2015 stufte das LKA in Nordrhein-Westfalen Q. als „Gefährder“ ein. Sein Bruder, gegen den wegen Terrorfinanzierung ermittelt wird, gilt als „relevante Person“ der salafistischen Szene.

Vor einer Woche sorgte Imran René Q. plötzlich für Alarmstimmung in seiner alten Heimat. Über Facebook-Chat behauptete der IS-Dschihadist, es werde bald einen Anschlag in einem Einkaufszentrum in Essen geben. Ausgeführt von Selbstmordattentätern. Der Verfassungsschutz bekam von den Internet-Chats mit. Die Folge: Das Einkaufszentrum „Limbecker Platz“ blieb am vergangenen Samstag aus Sicherheitsgründen geschlossen.

Was es mit dem Essener Terroralarm auf sich hat und wieso deutsche Sicherheitsbehörden derzeit eine Flut von Warnhinweisen vor Anschlägen erreicht:

Artikel in der WELT vom 14. März 2017