von Florian Flade
Burkhard Freier ist kein Mann, der vorschnell Wort ergreift. Wer dem nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzpräsidenten zuhört, wird bemerken dass er mit Bedacht und Sorgfalt formuliert. Umso erschreckender war es, als Freier im September vor dem Innenausschuss des Düsseldorfer Landtags verkündete, die Zahl der Salafisten sei in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2012 rapide angestiegen sein.
Noch im Jahresbericht 2011 war der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz von knapp 500 Salafisten im Bundesland ausgegangen. Freier erklärte im September: „Diese Zahl wird sich bis zum Jahresende wohl auf tausend verdoppelt haben.“
Vor wenigen Tagen bestätigte diesen besorgniserregenden Trend auch der kommissarische Chef des Berliner Verfassungsschutzes, Bernd Palenda. Er sagte im Interview mit der „Berliner Zeitung“ seine Behörde habe einen Zuwuchs der salafistischen Szene registriert. Die Zahl der gewaltbereiten Salafisten hat sich laut Palenda im vergangenen Jahr sogar verdoppelt.
„Bisher schätzten wir die Zahl der Salafisten auf 300, 100 davon gewaltbereit“, sagte der 52-jährige im Interview, „Inzwischen sind es etwa 400 Salafisten, davon zirka 200 gewaltorientiert.“
Was in NRW und Berlin inzwischen offiziell durch die Inlandsnachrichtendienste bekannt gegeben wurde, dürfte sich in anderen Bundesländern ähnlich abzeichnen. Die Kernaussage: es gibt immer mehr Salafisten und damit auch immer mehr gewaltbereite Vertreter der Szene. Trotz Vereinsverbot und den Ausreisen Dutzender Salafisten.
Die Frage, die sich stellt: Wie konnte es dazu kommen?
Die Ursachen sind vielfältig. Zum einen gab es 2012 weiter intensive Missionierungsbemühungen der Fundamentalisten, insbesondere durch die Koran-Verteilkampagne „Lies!“. Mit jedem verteilten Koran-Exemplar steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich junge Deutsche – seien sie Nicht-Muslime oder Muslime – von der extremistischen Ideologie angezogen fühlen.
Zudem steht der Salafismus – vor allem die militanten Auswüchse – seit Jahren in einem medialen Fokus, der für zusätzliche Aufmerksamkeit sorgt. Beispielsweise nach den Straßenschlachten von Solingen und Bonn. Was als Warnung gedacht ist, kann häufig seine Wirkung verfehlen.
Die salafistische Propaganda im Internet hat gleichzeitig massiv zugenommen. Sie ist heute überproportional im Netz vertreten. Wer sich über islamische Themen informieren möchte, landet zumeist auf salafistischen Webseiten.
Eine kleine radikale Minderheit nutzt so die Möglichkeiten des Internets, der sozialen Netzwerke und der jugendgerechten Sprache um sich als die einzigen Vertreter des wahren Islams zu stilisieren. Die salafistischen Stimmen sind lauter und oftmals moderner als die moderaten Vertreter der muslimischen Gemeinden. Jugendliche werden so leicht von den radikalen Seelenfängern geködert.
Und dennoch muss man genau hinsehen, um zu verstehen weshalb die Zahl der Salafisten in Deutschland zumindest aus Sicht der Nachrichtendienste angestiegen ist, sich in manchen Regionen sogar verdoppelt hat.
Der salafistische Islam wird als Phänomenbereich erst seit 2010 als solcher beobachtet. Er gilt als eine von mehreren Formen des Islamismus. Wer zu diesem Spektrum gezählt wird, was die Kriterien dafür sind, ab wann eine Beobachtung stattfindet und wann nicht, ob es eventuell extremistische Abstufungen gibt – all das musste innerhalb der Verfassungsschutzämter erst entwickelt und festgelegt werden.
NRW-Verfassungsschutzchef Burkhard Freier sprach im September bereits einen entscheidenden Umstand an. Je genauer der Verfassungsschutz die Szene beobachte, so Freier, umso mehr Anhänger des Salafismus würden registriert. Wichtig ist zudem die Unterscheidung zwischen salafistischen Muslimen und den gewaltorientierten Salafisten. Letztere gelten als gefährlich und stehen unter besonders intensiver Beobachtung der Sicherheitsbehörden.
Ob eine Person dem gewaltorientierten Spektrum zugeordnet wird, ist nicht selten eine Frage von Tagen oder Wochen. Die Radikalisierungsprozesse verlaufen immer schneller. Ihren Verlauf zu beobachten und rechtzeitig zu erkennen wann eine Person zur Gefahr wird – darin liegt die Schwierigkeit der Arbeit von Verfassungsschutz und Staatsschutz.
Wer heute als islamistischer Gefährder gilt, kann nächste Woche durch andere Umstände herabgestuft werden. In einigen Wochen mag die Person wieder als Gefährder gelten, weil es gewisse Hinweise auf erneute Radikalisierung gibt. Ein Festlegen auf Zahlen ist daher relativ und nur begrenzt möglich.
Hinzu kommt der Umstand dass innerhalb der Sicherheitsbehörden in den vergangenen Jahren offenbar Personen mehrfach gezählt wurden. Zumindest in den Datenbanken.
Demnach liegt das „islamistisch-terroristische Personenpotenzial“ aktuell nicht, wie noch im Februar 2012 vom Bundesinnenministerium angegeben, bei 1.000 Personen sondern bei rund 850. Aufgrund ihrer islamischen Kampfnamen und virtuellen Internetidentitäten in sozialen Netzwerken und Foren waren mehrere Personen doppelt oder sogar mehrfach gezählt worden.
Die Zahl der islamistischen „Gefährder“ liegt mit 139 Personen allerdings trotzdem höher als noch vor einem Jahr.
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