von Florian Flade
Keine Geheimniskrämerei mehr. Der Bundesnachrichtendienst (BND) will seine geheimen Außenstellen offiziell enttarnen. Doch es gibt Bedenken, dass die neue Transparenz dem Geheimdienst schaden könnte.
Die deutsche Bürokratie trägt häufig sehr kuriose Früchte. Da gibt es beispielsweise Behörden, Ämter und Institute, von denen niemand so recht weiß, was sie eigentlich tun. Das „Amt für Schadensabwicklung“ ist eine solche Einrichtung. Untergebracht in einem unscheinbaren Eckhaus mit grauen Fassaden an der Taubenstraße 1, in Berlin-Mitte. Was geschieht hier? Wer arbeitet in dem Gebäude? Wozu gibt es das mysteriöse Amt?
Die Antwort findet sich nicht etwa auf irgendeiner Webseite, sondern schlichtweg im Telefonbuch. Dort gibt es einen Eintrag zum „Amt für Schadensabwicklung“. Die Adresse ist hier jedoch eine andere: Gardeschützenweg 71, 12203 Berlin, Lichterfelde. Hier residiert, ganz offiziell, der Bundesnachrichtendienst (BND).
Das „Amt für Schadensabwicklung“ ist eine Phantombehörde, sie existiert nicht. Es handelt sich um eine getarnte Außenstelle des deutschen Auslandsgeheimdienstes. Wer hier täglich zur Arbeit geht, ist kein Verwaltungsbeamter, sondern Agent.
Mehr als zwanzig derartige, sogenannte abgetarnte Außenstellen betreibt der BND in der Bundesrepublik, verteilt über das ganze Land. Sie tragen fantasievolle Namen. Da gibt es etwa das Amt für Militärkunde in Bonn, die Bundesstelle für Sondervermögen in München, das „Ionosphäreninstitut“ in Rheinhausen, die „Bundesstelle für Fernmeldestatistik“ in Söcking.
Im Mai soll Schluss sein mit dem Versteckspiel der Schlapphüte. Der BND plant, seine größten Außenstellen öffentlich bekannt zu machen, sprich absichtlich zu enttarnen. An den Gebäuden sollen die Tarnbezeichnungen verschwinden, und Schilder angebracht werden, die sie ganz offiziell als BND-Residenturen ausweisen.
Ein ungewöhnlicher Schritt für einen Geheimdienst, dessen Arbeit zu einem großen Teil aus Tarnung und Täuschung besteht. Aus Sicht von BND-Präsident Gerhard Schindler dennoch ein notwendiger. Der Agenten-Chef hat eine klare Vorstellung vom Selbstverständnis seiner Behörde als Dienstleister für die Politik und somit für die Bevölkerung. Er wünsche sich einen „BND zum Anfassen“, sagte der 62-Jährige bei der Eröffnung der neuen BND-Zentrale in Berlin-Mitte am Montag.
Ein protziges, gigantisches Hauptquartier für 4000 Mitarbeiter, größer als jedes Ministerium, mitten in Berlin. Inklusive einem Besucherzentrum, für jedermann zugänglich. Dazu Außenstandorte, die nun offiziell als BND-Dienststellen erkennbar sind. Kann ein Geheimdienst noch vernünftig arbeiten, wenn er immer weniger geheim ist?
„Wir brauchen mehr Transparenz – nicht als Selbstzweck, sondern als Voraussetzung für eine breitere Vertrauensbasis in der Gesellschaft“, forderte Schindler bereits bei einer Rede im Dezember 2013. Mehr Transparenz sei für einen Geheimdienst eine große Herausforderung. „Aber ich bin mir sicher, sie ist möglich.“
Innerhalb des BND stößt die neue Offenheit allerdings bei Weitem nicht nur auf Zuspruch. Im persönlichen Gespräch mit der „Welt“ äußerten einige Agenten Bedenken gegenüber der schrittweisen Enttarnung des Dienstes.
„Manche Kollegen haben sich über Jahre geheime Identität aufgebaut. Oft wissen nicht einmal die eigenen Kinder oder die Ehefrau von der eigentlichen Arbeit“, gibt ein langjähriger BND-Mitarbeiter zu bedenken. „Da ist es nicht besonders hilfreich, wenn jetzt offiziell bekannt wird, dass das Amt bei dem der Vater arbeitet, eigentlich der Geheimdienst ist.“
Insbesondere die Tatsache, dass offenbar erwogen wird, die Tarnnamen abzuschaffen, löst Unmut aus. Jeder BND-Mitarbeiter verfügt normalerweise über eine Tarnidentität mit falschem Namen und falscher Biografie. Damit soll nach dem Willen der BND-Leitung bald Schluss sein. Wer nicht operativ, also als Agent tätig ist, brauche auch keine Tarnidentität.
Der BND-Präsident kündigte den Paradigmenwechsel schon vor Monaten an. „Es ergibt für mich keinen Sinn, die Außenstellen des BND in Deutschland unter einer Legendenstruktur zu führen, wenn ich gleichzeitig im Internet nachlesen kann, dass das Amt für x oder das Amt für y eine Organisation des BND ist“, so Schindler Ende 2013. Die Geheimnistuerei erzeuge Misstrauen statt Vertrauen. „Transparenz ist also das Gebot der Stunde.“
Tatsächlich sind zahlreiche Standorte des BND schon vor Jahren durch Journalisten, die Bundesregierung selbst oder Privatleute enttarnt und im Internet publik gemacht worden. Deren Existenz oder Zugehörigkeit weiterhin zu leugnen wirkt wie ein halbherziger Versuch, das alte Image eines nicht greifbaren Geheimdienstes aufrechterhalten zu wollen.
Jetzt soll mit mehr Offenheit der Ruf des Dienstes verbessert werden. Die Botschaft von BND-Präsident Schindler ist dabei eindeutig: Seine Mitarbeiter müssten sich nicht für seine Arbeit schämen. Die Öffentlichkeit dürfe durchaus wissen, wie und auch wo der Dienst arbeite.
„Die Bekanntmachung der Außenstellen ist längst überfällig“, sagte der Geheimdienst-Experte Erich Schmidt-Eenboom der „Welt“. Vor Ort wisse die Bevölkerung längst, wer in den mysteriösen Ämtern oder Instituten in Wahrheit tätig sei.
Ein großer Teil des BND-Personals, etwa in der Verwaltung, könne zudem auf Tarnnamen verzichten, erklärte Schmidt-Eenboom. „Ein moderner Nachrichtendienst kann sich durchaus Transparenz leisten. Die setzt Schindler nun konsequent um.“
In der Politik trifft die neue Transparenz-Kampagne auf breite Zustimmung. „Unsere Nachrichtendienste sind moderne Informationsdienstleister im Auftrag des Staates“, sagte SPD-Innenexperte Michael Hartmann der „Welt“. In einer Demokratie könne sich der BND durchaus mehr Transparenz leisten. „Die Bürgerinnen und Bürger dürfen sie auch einfordern.“
Auch der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele begrüßte es, dass die BND-Außenstellen bekannt gemacht werden sollen. „Ich halte das für richtig. Die permanente Geheimniskrämerei der Geheimdienste ist ein Relikt des Kalten Krieges“, sagte Ströbele der „Welt“. Nicht alles, was Geheimdienste täten, müsse geheimgehalten werden. „Jeder Schritt zu mehr Offenheit ist zu unterstützen“, betonte Ströbele. „Auch wenn ich kritisiere, dass nicht alle BND-Außenstellen mit einbezogen werden.“
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Der Artikel erschien in DIE WELT am 02.04.2014
http://www.welt.de/politik/deutschland/article126455027/Phantombehoerden-des-BND-werden-aufgeloest.html
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